SCHWERE KETTEN UND FEINE STOFFE
Introduction Text for the Artist Catalogue Zeitgeister by Barbara Lüdde.
2021
SCHWERE KETTEN UND FEINE STOFFE
Sind Geister Fremde oder Bekannte? – nun, darauf kommt es nicht an bei einem Geist. In der Welt der Geister gibt es weder Geschlecht noch Unvereinbares, alles darf neben- und miteinander co-existieren: Transparenz und Undurchschaubarkeit, rätselhafte Klarheit, unnahbare Intimität, Schwächen und Stärken, realitätsimmune Schwebezustände. Vielleicht sind Geister auch deshalb zu Meistern der Transformation geworden, weil sie keinen Boden unter den Füßen haben? – sie können schnell Farbe und Form wechseln, weil sie grundsätzlich gar keine haben.
Um die Wahrheit zu sagen, muss man die paradoxen Qualitäten unserer Existenz einfangen. Man muss sich begeistern für Wahnsinn und Unvernunft, Eigenheit, die Überlegenheit der Kreativität über Logik und Natur, Unerklärbares. Geister wollen fast immer etwas von uns wissen, suchen uns deswegen auf oder heim, je nachdem: Also sehe ich, oder werde ich angeschaut? – Perspektivwechsel. Soziale Codes und Weltanschauungsproblematiken. Schwere Ketten und feine Stoffe: Frisuren, Style, Piercings, Habitus.
All dies vereint Barbara Lüdde in ihren Zeichnungen, die wirken wie aus Stein gemeißelt, archiviert für die Nachwelt, die das Flüchtige vor dem Entschwinden bewahren. Neben Rauminstallation, Videoanimation und Sound ist die Zeichnung das Hauptmedium der Künstlerin. In ihren Bildern inszeniert Lüdde komplexe Identitäten, lässt uns deren Rituale und Emotionen betrachten – schön? oder hässlich? nachdenklich? auch brutal, wenn es sein muss. Das Sinnliche steckt oft im Schrecklichen. Liebe und Konsum, Horror und Ekstase sind nah beieinander, so wie bei Baudelaire, … aye, aber jetzt erst mal ganz langsam und nicht alles zu stark mit intellektuellem Plot aufladen: »Raven ist ja im Grunde auch eine Art Ritual, Subkultur eine Art Religion«, wie die Künstlerin selbst sagt, also einfach mal die Tusche auf dem Papier wirken lassen, zwischen den Bildern Teil einer Gruppendynamik werden, Symbole scannen, sich gegenseitig abchecken—
Am Ende ist einem Geist unser Blick dann eh egal. Er macht einfach sein Ding. Bleibt trotz Rechtspopulismus und neoliberaler Ökogrüner selbst im Kapitalismus stets romantisch, wenn auch hier und da ein wenig traurig. Geist muss tun, was ein Geist tun muss! And facing ghosts can be powerful.